Ein weites Feld: Wohnungslosenhilfe – mehr als ein Dach über dem Kopf

Bewährtes verbessern, Neues annehmen, Kooperation gestalten, für Gerechtigkeit streiten

Bundestagung 2009 der BAG Wohnungslosenhilfe e.V., München, 18. bis 20. November 2009

In den 1970er Jahren begann der Wandel der ausschließlich stationären zu einer zunehmend ambulanten Wohnungslosenhilfe. Die Situation heute ist ähnlich herausfordernd und zugleich mit begründet durch den Strukturwandel der letzten 30 Jahre. Die Ambulantisierung hat maßgeblich die „Wiedereingemeindung“ Wohnungsloser vorangetriebenen. Damit hat sich die Klientel differenziert und sind Aufgaben auf die WLH zugekommen, die nur durch eine weitere Differenzierung und Spezialisierung bedient werden konnten: Straßensozialarbeit, Tagesaufenthalte, Hilfen für wohnungslose Frauen, medizinische Versorgungsangebote, Angebote für psychisch auffällige oder kranke Wohnungslose, Angebote für suchtkranke Wohnungslose, die nicht in der Suchtkrankenhilfe unterkommen können, Zufluchtsstätten für junge Wohnungslose, Betreuung in Wohnungen, aufsuchende Hilfen nach Abschluss von Mietverträgen und vieles mehr. Dies alles kennzeichnet die moderne Wohnungslosenhilfe.

Auch künftig wird sich die Klientel und werden sich die Aufgaben der Hilfe verändern. Diese Veränderung ist immer auch eine Reflexion des Erfolges und der Orientierung an den Bedarfen und Bedürfnissen der Betroffenen. Deswegen ist es nur konsequent nicht beim bisher Erreichten zu verharren, sondern die Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe aktiv zu befördern. Wohnungslosenhilfe als Hilfe für Menschen ohne Wohnung sollte sich entwickeln zu einer Hilfe, die darüber hinaus systematisch verhindert, dass Menschen entweder ihre Wohnung verlieren oder gegen ihren Willen in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben müssen.

Inzwischen beackert die Wohnungslosenhilfe ein sehr weites Feld, so weit, dass sie sich die Frage nach der eigenen Identität stellt. Zu ihrer Klientel gehören Menschen, die nur mit den niedrigschwelligsten Angeboten überhaupt erreicht werden können, Menschen, die in keinem anderen Hilfesystem unterkommen und deswegen dauerhaft in der Wohnungslosenhilfe verbleiben, die auch nicht mehr zurück in eine eigene Wohnung können oder wollen, Menschen, die sich so sehr von der eigenen Persönlichkeit und von ihrer Umwelt entfremdet haben, dass es eines langwierigen und keinesfalls mit Sicherheit erfolgreichen Begleitens bedarf, um ihnen eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Zugleich gibt es aber auch die KlientInnen, die mit guter Unterstützung und Beratung zügig zurück in eine eigene Wohnung finden oder es schaffen, diese zu behalten, und ihre diversen sozialen Schwierigkeiten zu lösen. Die Wohnungslosenhilfe wird aufgesucht von Menschen, die auf die offenen Angebote im Stadtviertel, in der Gemeinde, d.h. auf den Rat, die Unterstützung, die medizinische Hilfe, die preiswerte Kleidung oder Nahrungsmittel angewiesen sind, auch wenn sie noch eine eigene Wohnung haben.

In ihrer vielschichtigen Arbeit sieht sich die Wohnungslosenhilfe konfrontiert mit den Folgen der sog. Reformen des Sozial- und Gesundheitswesens. HARTZ IV und Gesundheitsmodernisierungsgesetz sind hier die Stichworte. Der durch diese Prozesse eingeleitete Paradigmenwechsel im Sozialen hat es keinesfalls einfacher gemacht, parteilich für die Rechte der Klientel zu streiten. Enge Kooperation und verlässliche Abstimmung zwischen Wohnungslosenhilfe und Kommune sowie Wohnungslosenhilfe und ARGE sind unerlässlich. Darüber hinaus steht die Wohnungslosenhilfe in der Pflicht, sich, je deutlicher die Probleme ihrer Klientel andere Hilfefelder berühren, mit diesen zu verständigen. WLH muss sich der Wohnungswirtschaft als verlässlicher Partner anbieten, damit diese auch in schwierigen Situationen ihre Mieter hält und neuen Mietern „mit Vergangenheit“ eine Chance lässt. WLH muss sich einmischen, damit vor Ort preiswerter Wohnungsbestand erhalten bleibt, sonst hat ihre Klientel keine Chance auf ein Wohnen in den eigenen vier Wänden.

Eine „bürger- und gemeindenahe Wohnungslosenhilfe“ muss sich den Hilfebedarfen ihrer Klientel anpassen, sonst macht sie sich überflüssig. Sie ist verpflichtet neue Wege zu gehen – ohne die „alten“ Aufgaben zu vernachlässigen und ohne sich den besonderen Hilfebedarfen der total Ausgegrenzten nicht auch weiterhin mit aller Kraft zu widmen. Wohnungslosenhilfe steht heute in einem ständigen Spagat zwischen niedrigschwelligster Katastrophenhilfe, qualifizierten Eingliederungshilfen und einer nachhaltigen präventiven Arbeit, dies unter der Bedingung wirkmächtiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, sozialer und globaler Einflüsse. Bei den notwendigen Suchbewegungen, Vergewisserungen und Forderungen an die Politik als Verantwortliche für die Rahmenbedingungen der Arbeit will diese Tagung sachdienliche Hinweise und tatkräftig Unterstützung leisten.