Formulierungshilfen zur Geltendmachung und Durchsetzung des Anspruchs auf Zuweisung einer Notunterkunft
In den letzten Jahren hat in der BRD die Zahl der obdachlosen Menschen stetig zugenommen. Nach einer Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe waren es im Jahre 2018 rund 678.000 Wohnungslose. Davon lebten rund 41.000 Personen ohne jegliche Unterkunft auf der Straße. Gegenüber dem Vorjahr 2017 bedeutete dies einen Anstieg von rund 4,2 %. Betroffen von der Obdachlosigkeit sind zunehmend Familien mit Kindern, insbesondere Alleinerziehende und junge Erwachsene. Aber auch die drohende Altersarmut der Generation Billigjobber, Solo-Selbständigen und anderer prekär beschäftigter Menschen ist besorgniserregend.Weiterhin sind es immer mehr freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und anerkannte bzw. geduldete Geflüchtete, die mangels bezahlbarem Wohnraum über kein „Dach über dem Kopf“ verfügen.
Nach den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts stellt die (unfreiwillige) Obdachlosigkeit eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für das polizeiliche Schutzgut der „öffentlichen Sicherheit“ dar. Im polizeirechtlichen Sinne handelt es sich um die höchste Gefahrenstufe für die bedrohten hochrangigen Rechtsgüter. Deshalb sind die Städte und Gemeinden als unterste, allgemeine Gefahrenabwehrbehörden verpflichtet, die Betroffenen zum Schutz ihrer Grund- und Menschenrechte unterzubringen. Jeder obdachlose Mensch hat gegenüber den Kommunen einen Rechtsanspruch auf Unterbringung, der notfalls vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden kann.
Viele Gemeinden bemühen sich, ihrer Pflichtaufgabe zur Unterbringung von Obdachlosen nach besten Kräften nachzukommen. Wegen der Vielzahl der betroffenen Personen stoßen sie oft an ihre Leistungsgrenzen. Leider gibt es aber auch Städte und Kommunen, die diese Aufgabe nicht, nur wiederstrebend oder „nach eigenen Gesetzen“ erfüllen. Sie missachten dabei nicht nur fundamentale Grund- und Menschenrechte der betroffenen Obdachlosen, sondern verstoßen auch gegen grundlegende Verfahrens- und Verwaltungsvorschriften.
Die vorliegenden Arbeitshilfen wenden sich zum einen an die Menschen, die unmittelbar von der Obdachlosigkeit betroffen sind. Zum anderen richten sie sich an die Beschäftigten, Helfer und Berater der sozial- und karitativen Einrichtungen und Verbände, die sich für die Belange Obdachloser einsetzen. In zahlreichen Beispielen werden Formulierungshilfen, Ratschläge und praktische Hinweise zur Geltendmachung und Durchsetzung des Unterbringungsanspruchs gegeben. Gleichzeitig werden unter Heranziehung der aktuellen Rechtsprechung wichtige Informationen zur Rechtslage und zum Verfahren erteilt. Die rechtlichen Ausführungen zeigen deutlich, dass die Unterbringung von Obdachlosen – entgegen einer verbreiteten Verwaltungspraxis selbst in großen Städten – nicht jenseits oder außerhalb des (Polizei- und Ordnungs-) Rechts, sondern in einem rechtsstaatlichen und geordneten Verfahren zu erfolgen hat.
Mit der Herausgabe dieser Arbeitshilfen verbinden wir den Wunsch und die Hoffnung, dass möglichst viele – oder besser noch: alle Städte und Gemeinden ihre gesetzliche Aufgabe zur menschenwürdigen Unterbringung von Obdachlosen wahrnehmen und die dargestellten Grundsätze des Obdachlosenpolizeirechts beachten. Dann wird auch die Zahl der obdachlosen Menschen in unserem Lande entscheiden reduziert werden können.
Berlin / Emmendingen, im August 2020
Werena Rosenke (BAG Wohnungslosenhilfe)
Karl-Heinz Ruder (Rechtsanwalt / Stadtrechtsdirektor i. R.)