20 Jahre Hilfen für Wohnungsnotfälle in Ostdeutschland – Nach wie vor sehr großer Nachholbedarf

Mehr als zwanzig Jahre sind seit der Deutschen Einheit vergangen, Zeit, einen genaueren Blick auf Stand und Entwicklung der Hilfen für Menschen in Wohnungsnot, Armut und sozialer Ausgrenzung in Ostdeutschland zu werfen. Um es gleich zu Beginn zu sagen: Die Bestandsaufnahme unserer AutorInnen fällt insgesamt nicht sehr erfreulich aus. Zwar mangelt es nicht an einzelnen Initiativen, schon gar nicht an gutem Willen, aber – insgesamt ist doch ein deutlicher Rückstand des Hilfesystems gemessen an den heute geltenden fachlichen Standards zu verzeichnen.

Andreas Strunk, Sozialplaner in der Wohnungslosenhilfe seit Beginn der 70er Jahre, zeichnet in seiner Expertise den Stand systematischer Intervention, insbesondere auch sozialplanerischer Ansätze in den fünf ostdeutschen Bundesländern nach: in aller Regel Fehlanzeige. Strunk verdeutlicht, dass es besonderer Initiativen wie Fortbildungen, Fachtagungen, Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr bedarf, um diese Situation zu verändern. Er verweist aber auch darauf, dass öffentliche Träger ganz offensichtlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht ausreichend nachkommen. Hier gibt es aber auch für die Spitzenverbände und die Fachverbände der Wohnungslosenhilfe noch reichlich zu tun. Rotraud Kießling, langjährig in der EvO als Vorstandsmitglied aktiv, zeigt den schwierigen Start der Wohnungslosenhilfe vor dem Hintergrund der allgemeinen gesellschaftlichen Situation in der ehemaligen DDR auf. Auch in diesem Beitrag zeigt sich das zögernde bis verdrängende Verhalten der Behörden gegenüber der Wohnungsnotfallproblematik, dessen tiefste Wurzeln sie in der Historie der DDR sieht, auch wenn Hilfeverweigerung keine Spezialität des Ostens ist.

Titus Simon, Fachhochschullehrer und Experte der Wohnungslosenhilfe, zeigt dann am Beispiel von Sachsen-Anhalt auf, welche spezifischen Fehlentwicklungen das fehlende Engagement öffentlicher Träger, ins. von Land und überörtlichen Trägern zur Folge hat: einen Wildwuchs im Einzelnen sinnvoller, aber insgesamt unkoordinierter niederschwelliger Hilfen. Simon zeigt den großen Bedarf an systematischer Sozialberichterstattung, ins. Wohnungsnotfallberichterstattung als Basis für den geplanten Aufbau. Herrmann Pfahler, ehemaliger Fachreferent für Hilfen nach §§ 67 beim DW Berlin-Brandenburg und Rainer Krebs, GEBEWO Brandenburg, zeigen – aus unterschiedlicher Perspektive, aber übereinstimmend im Ergebnis – in ihren jeweiligen kritischen Beiträgen auf, welche zahlreichen Widerstände auf öffentlicher Seite beim Aufbau eines fachlich adäquaten Hilfesystems für die Hilfen nach §§ 67 ff. auftreten. Sie unterbreiten aber auch klare, wegweisende sowie kostengünstige Vorschläge, um die desolate Situation zu verändern. Die Lage im Osten ist also ernst, aber nicht hoffnungslos.

Die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. plant eine koordinierte „Initiative Ost“, um einen neuen Entwicklungsschub in Ostdeutschland einzuleiten. Auftakt der Initiative wird es sein, dieses Schwerpunktheft an alle Städte und Gemeinden und freien Träger in Ostdeutschland zu übersenden. Dies wird auch verbunden sein mit der Bitte, Mitglied in der BAG Wohnungslosenhilfe zu werden. Die Verteilung der Mitgliedschaft der BAG W über alle Bundesländer zeigt deutlich die massive Unterrepräsentanz im Osten. Über den Verlauf der „Initiative Ost“ und ihre weiteren Schritte werden wir in dieser Zeitschrift kontinuierlich berichten.

Dr. Thomas Specht,
Geschäftsführer der BAG W