Die zentrale Rechtsgrundlage der Wohnungslosenhilfe und auch der darüber hinausgehenden Hilfen in Wohnungsnotfällen, die §§ 67 ff. SGB XII, steht immer wieder im Fokus grundsätzlicher Auseinandersetzungen um ihre Rolle im Kontext anderer Hilfen der Sozialgesetzbücher. In jüngster Zeit war der Anlass der neu aufgeflammten Debatte, insbesondere das Verhältnis der Hilfen nach §§ 67 ff. zu den anderen Hilfen in besonderen Lebenslagen.
Treiber dieser immerwährenden Debatte ist wohl auch die Tatsache, dass die §§ 67 ff. gewissermaßen das letzte Netz der sozialen Arbeit für Menschen mit verfestigten Armutskarrieren in Verbindung mit vielfältigen psycho-sozialen Beeinträchtigungen ist. Wohl wissend, dass diese Auffangposition immer auch Anlass sowohl zu ungerechtfertigten Allmachtsansprüchen der Wohnungslosenhilfe selbst als auch zu unvertretbaren Hilfeverweigerungen Dritter führen kann, formulierte die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. 2001 in ihrem Grundsatzprogramm: „Die Eigenständigkeit und Professionalität der Wohnungslosenhilfe beruht darauf, die Grundversorgung und -sicherung der Betroffenen sicherzustellen und die soziale Ausgrenzung in Kooperation mit den anderen Spezialdisziplinen der Sozialarbeit und den zuständigen gesellschaftlichen Institutionen dauerhaft zu überwinden. Sie kann und will deren Arbeit nur so lange stellvertretend wahrnehmen, wie es ein menschenwürdiges Leben erfordert. Sie will keine Institution mit einer Sonderstellung, kein Ghetto für die Armen und sozial Ausgegrenzten, sondern mitten im Gemeinwesen tätig sein.“ (Grundsatzprogramm, 2001, S. 33).
Dieser Grundsatz bedarf immer wieder einer zeitgemäßen Auslegung vor dem Hintergrund der Entwicklung von Sozialpolitik, Sozialhilfe und Sozialer Arbeit. Roscher stellt in diesem Sinne die aktuellen Diskurse um die §§ 67 ff. in den Kontext der sozialstaatlichen Entwicklung unter dem Signum des „aktivierenden Sozialstaats“ und zeigt dabei die Gefahr der schleichenden Aushöhlung der Rechtsansprüche nach §§ 67 ff. auf. Hammel veranschaulicht die vielfältigen fehlerhaften rechtlichen Abgrenzungen der Zuständigkeit in der Verwaltungspraxis am Beispiel von typischen Fallkonstellationen. Sein Fazit: Selbstverständlich kann und muss die Wohnungslosenhilfe die Eigenständigkeit des Rechtsanspruchs nach den §§ 67 ff. behaupten. Rexhäuser stellt in ihrem Beitrag das Zusammenspiel der verschiedenen Rechtsgrundlagen neben den §§ 67 ff. in einem lokalen Hilfesystem am Beispiel der Stadt Karlsruhe heraus: beides tun – differenzierte und bedarfsgerechte Hilfen nach §§ 67 ff. und die Erschließung weiteren Hilfen, die zusätzlich erforderlich sind. Brünner arbeitet in seinem Beitrag die bundesweit umstrittene Rechtsproblematik des Vorrang/Nachrangs der Arbeitshilfen nach SGB XII bzw. SGB II heraus: Entgegen der herrschenden Auffassung seien die Leistungen nach §§ 67 ff. nicht nachrangig gegenüber Eingliederungsleistungen nach SGB II, sondern gleichrangig.
Alle Beiträge machen klar, dass die Eigenständigkeit der Wohnungslosenhilfe nicht bestritten werden kann. Sie ist notwendig im Interesse der nachhaltigen Hilfe und im Interesse einer umfassenden Rechtsverwirklichung. Aber ebenso ist und bleibt eine Schlüsselrolle der Wohnungslosenhilfe die Erschließung weiterer Hilfen – auch gegen den offenen oder versteckten Widerstand anderer Hilfesysteme. Die angemessene Balance zu finden ist nicht nur die Aufgabe der fachlich-institutionellen Wohnungslosenhilfe bzw. Hilfen in Wohnungsnotfällen selbst, sondern auch der Sozialpolitik, der Sozialhilfe und der anderen Hilfesysteme.
Dr. Thomas Specht,
Geschäftsführer der BAG W