Working Poor in Deutschland: Mit Job, aber ohne eigene Wohnung
BAG Wohnungslosenhilfe veröffentlicht Statistikbericht zur Lebenslage wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen in Deutschland
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) stellt heute ihren Statistikbericht zu den Lebenslagen wohnungsloser und von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen in Deutschland für das Berichtsjahr 2019 vor.
Jährlich werden seit 1990 für den Bericht Klient:innendaten aus freiverbandlichen Diensten und Einrichtungen der Hilfen in Wohnungsnotfällen im BAG W-eigenen Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit (DzW) ausgewertet. Für das Berichtsjahr 2019 übermittelten 223 Mitgliedseinrichtungen mehr als 45.600 anonymisierte Falldaten und damit so viele Daten wie noch nie zuvor. 74,4 Prozent aller erfassten Hilfesuchenden sind akut wohnungslos.
Den Schwerpunkt des Berichtes für das Jahr 2019 bildet die Lebenslage von Menschen, die sich in Wohnungsnotfallsituationen befinden, obwohl sie erwerbstätig sind (Working Poor). Ihr Anteil hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Insgesamt muss jedoch festgestellt werden, dass rund 85 Prozent der im DzW erfassten Klient:innen nicht erwerbstätig sind. Dazu Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Diese Entwicklung ist alarmierend. Rund 15 Prozent aller erfassten Klient:innen befinden sich in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Großteil der erwerbstätigen Klient:innen – über alle soziodemografischen Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildung hinweg – ist im ersten Arbeitsmarkt tätig und hat dennoch keine eigene Wohnung. Das macht einmal mehr deutlich: Bezahlbarer Wohnraum ist so knapp wie selten zuvor.“
Unter den erwerbstätigen Klient:innen sind Frauen etwas öfter (rund 17 Prozent) von Wohnungsnot betroffen als Männer (rund 14 Prozent). Besonders stark trifft es die jüngere Generation. Bei den unter 30-Jährigen erwerbstätigen Klient:innen im DzW sind rund 80 Prozent ohne eigene Wohnung. Bei allen anderen Altersgruppen darüber sind es zwischen 60 Prozent (60+ Jahre) und 76 Prozent (30-39 Jahre).
Auch die Herkunft spielt eine Rolle: Erwerbstätige Klient:innen mit Migrationshintergrund und/oder nicht-deutscher Staatsangehörigkeit kämpfen deutlich häufiger mit akuter Wohnungslosigkeit als alle erwerbstätigen Klient:innen insgesamt (73 Prozent bei den nicht-deutschen Klient:innen, 68 Prozent bei den Klient:innen mit Migrationshintergrund, 58 Prozent bei Klient:innen deutscher Staatsangehörigkeit, 64 Prozent bei allen erwerbstätigen Klient:innen zusammen).
Weitere zentrale Ergebnisse des Statistikberichts:
Rund drei Viertel der Klient:innen sind männlich, ein Viertel ist weiblich. Verglichen mit früheren Erhebungen nimmt der Anteil weiblicher Betroffener offenbar nicht weiter zu. Es zeigt sich auch, dass Frauen frühzeitiger Hilfe beanspruchen. Sie suchen bereits im Prozess des Wohnungsverlustes professionelle Unterstützung (32 Prozent gegenüber rund 19 Prozent bei den Männern).
Die meisten der hilfesuchenden Menschen kommen bei Freund:innen, Bekannten, Partner:innen oder der Familie unter (rund 40 Prozent). Frauen leben häufiger als männliche
Klienten bei Familie und Partner:innen (16 Prozent gegenüber 11 Prozent der Männer). Männliche Klienten leben häufiger bei Bekannten (29 Prozent gegenüber 25 Prozent der Frauen).
Die Anzahl der Klient:innen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit im DzW nimmt weiterhin zu (von 30 Prozent in 2018 auf 32 Prozent in 2019). Auch ist der Anteil der Haushalte mit Kind(ern), darunter Alleinstehende sowie Paare mit Kind(ern), nach wie vor sehr hoch (acht Prozent). Davon ist fast die Hälfte (rund 47 Prozent) akut von Wohnungslosigkeit betroffen.
Fast zwei Drittel aller wohnungslosen Haushalte mit Kind(ern) können bei Bekannten, Familie oder Partner:innen unterkommen (rund 64 Prozent). Allerdings lebt auch rund eine von zehn akut wohnungslosen Familien vor Hilfebeginn gänzlich ohne Unterkunft auf der Straße. Bei Haushalten ohne Kinder ist das Verhältnis zwei zu zehn.
Insgesamt ist die Langzeitwohnungslosigkeit leicht rückläufig. Dafür nimmt die Zahl der Menschen, die erstmalig wohnungslos sind, zu. Das bedeutet, die Präventionsarbeit der Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfen wird immer wichtiger.
Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W, zu den Ergebnissen: „Der Statistikbericht für das Berichtsjahr 2019 ist erneut ein Beleg dafür, in welch prekären Lebenslagen sich viele Menschen hierzulande befinden und welche Trends sich in unserer Gesellschaft abzeichnen. Grundlage zielgerichteten Handelns und einer bedarfsgerechten Entwicklung der Hilfen sind Fakten. Diese liefern wir Jahr für Jahr mit unserem Bericht. Und diese Fakten machen deutlich: Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die dauerhafte Sozialbindung von Wohnraum und spezifische Wohnraumversorgungsanstrengungen für bereits wohnungslose Menschen sind wichtiger denn je. Wir hoffen, dass eine neue Bundesregierung entsprechende Prioritäten setzt.“
--> Hier geht´s zum Statistikbericht 2019
PM_BAGW-Statistikbericht-2019.pdf