Wohnungslosenhilfe fordert Nationale Strategie gegen Wohnungsnot und Armut
Bielefeld / Dortmund, 25.09.2013. Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W), der Dachverband der Wohnungslosenhilfe in Deutschland, fordert von der neuen Bundesregierung eine Nationale Strategie gegen Wohnungsnot und Armut. Auf dem in Dortmund stattfindenden Bundeskongress des Verbandes wurden Eckpunkte einer solchen Strategie vorgestellt.
2012 waren 284.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Dies ist im Vergleich zum Jahr 2010 ein Anstieg um ca. 15 %. Bis 2016 prognostiziert die BAG W eine Zunahme der Wohnungslosigkeit um 30% auf dann 380.000 Menschen.
Wohnungslose erfahren eine umfassende Ausgrenzung in vielen Lebensbereichen. „Wer seine Wohnung bereits verloren hat, hat in Zeiten der Wohnungsnot kaum Chancen eine neue Wohnung zu finden. Wohnungslosen Bürgerinnen und Bürgern bleibt der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt, die Gesundheitsversorgung ist für sie nicht bezahlbar und wer erstmal ganz ohne Unterkunft auf der Straße ist, muss Gewalt und weitere Diskriminierung fürchten“, erklärte Winfried Uhrig, Vorsitzender der BAG W in Dortmund.
Angesichts dieser Entwicklung ist eine „Nationale Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut“ dringend geboten. Gehandelt werden muss auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene.
Wenige Tage nach der Bundestagswahl richtet die BAG W konkrete Forderungen an die neue Bundesregierung. Darüber hinaus schlägt der Verband konkrete Maßnahmen für die Bundesländer, die Kommunen und Landkreise vor.
Bezahlbaren Wohnraum erhalten, Wohnungsverluste verhindern
Mieten und Energiekosten steigen weiter an, zugleich sinkt der Bestand an sozial gebundenen und bezahlbaren Wohnungen, auf den Wohnungslose und Menschen mit niedrigen Einkünften so dringend angewiesen sind. In vielen Regionen mangelt es noch immer an geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten.
Die BAG W fordert deswegen von der neuen Bundesregierung die Fortführung der sozialen Wohnraumförderung. Als Sofortmaßnahmen muss das SGB II geändert werden, um eine Mietschuldenübernahme auch als Beihilfe zu ermöglichen. So können Wohnungsverluste gezielt verhindert werden. Eine Mietpreisbremse soll den Anstieg von Neu- und Wiedervermietungsmieten bei 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete deckeln. Mit gezielten Förderprogrammen des Bundes müssen der Neubau von Sozialwohnungen in Regionen mit besonderer Wohnungsnot und die Einrichtung kommunaler Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten unterstützt werden. Es bedarf auch Förderprogramme, um die Folgen der energetischen Sanierung für einkommensarme Mieter aufzufangen.
Die Bundesländer müssen durch eine aktive Wohnungsbaupolitik bezahlbaren Wohnraum für alle sichern. Der Verkauf landeseigener Wohnungsunternehmen soll gestoppt und die Chancen für einen Rückkauf ehemals landeseigener Wohnungsbestände müssen geprüft werden.
Die BAG W erneuerte ihre Forderung nach kommunalen Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten und nach einer Zusammenarbeit der Kommunen mit den Trägern der Wohnungslosenhilfe, um Menschen in Wohnungsnot durch persönliche Hilfen zu erreichen.
Menschenwürdige Notversorgung sicherstellen
Obwohl aufgrund der unzureichenden Versorgung mit Wohnraum in vielen Regionen wieder deutlich mehr Menschen als in den letzten Jahren auf ordnungsrechtliche Unterbringung und Notversorgung angewiesen sind, entziehen sich viele Kommunen der Pflicht zur ordnungsrechtlichen Versorgung oder halten menschenunwürdige Obdächer vor.
„Wohnungslose Menschen dürfen nicht in elenden Notunterkünften ausgegrenzt und dort vergessen werden“, erklärte Winfried Uhrig. „Wir haben die Mindestanforderungen an eine menschen-würdige Notversorgung und Unterbringung detailliert beschrieben“, so Uhrig weiter. Die Notversorgung müsse regelhaft mit dem Ziel einer zeitnahen Vermittlung in eigenen Wohnraum oder wenn nötig in qualifizierte weiterführende Hilfen erfolgen. Die BAG W sieht aber auch den Bund und die Länder in der Pflicht: Die Innenministerkonferenz muss Leitlinien für eine menschenwürdige Unterbringung formulieren und die Länderinnenministerien als Oberste Aufsichtsbehörden müssen sicherstellen, dass die Kommunen ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur menschenwürdigen Unterbringung und zur Beseitigung von Obdachlosigkeit tatsächlich nachkommen.
Zunehmende Wohnungslosigkeit junger Erwachsener stoppen
Der Anteil der unter 25-jährigen wohnungslosen Frauen und Männer ist in den letzten Jahren gestiegen und liegt jetzt bei 20 %. Mitverantwortlich für diese hohe Zahl sehr junger Wohnungsloser sind Regelungen im SGB II, der sog. Hartz-IV-Gesetzgebung, insb. die Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft und das defacto-Auszugsverbot für junge Frauen und Männer.
Die BAG W fordert deshalb von der neuen Bundesregierung entsprechende Änderungen in der Sozialgesetzgebung (SGB II) vorzunehmen: Die Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft müssen sofort abgeschafft werden, ebenso das defacto-Auszugsverbot, das nach Ansicht des Verbandes auch nicht mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit vereinbar ist.
Arbeitsförderung auch für Wohnungslose
90% der Wohnungslosen sind arbeitslos, die Mehrheit ist langzeitarbeitslos, aber von den Instru-menten des SGB II zur Integration in den Arbeitsmarkt werden diese Menschen nicht erreicht, da die Fördermaßnahmen keine Rücksicht auf deren besonderen sozialen Probleme nehmen. Es gibt inzwischen weniger Arbeitsplätze für Menschen in Armut und Wohnungsnot und die angebotenen Maßnahmen sind oft zu kurzzeitig und unterfinanziert.
Die BAG W fordert eine gesetzliche Verankerung von Sozialunternehmen als eine Grundlage für einen sozialen Arbeitsmarkt. Bund und Länder sollten Sozialunternehmen durch Anschubfinanzierungen fördern.
Umsteuerung bei der Gesundheitspolitik
Der Gesundheitszustand wohnungsloser Männer und Frauen ist häufig miserabel. Zugleich erschweren handfeste Barrieren den Zugang zu einer regelhaften medizinischen Versorgung oder verhindern sie oft gänzlich.
Die BAG W fordert vom Gesetzgeber eine Umsteuerung in der Gesundheitspolitik. „Anstelle neuer Zuzahlungen und Sonderbeiträge fordern wir die Wiedereinführung der Befreiung von Zuzahlungen für ALG II- und Sozialhilfebeziehende. Durch Härtefallregelungen muss es auch armen Bürgerinnen und Bürgern möglich sein nicht verschreibungspflichtige Medikamente kaufen zu kön-nen“, so Winfried Uhrig. Bund und Länder müssen initiativ werden, um gemeinsam mit den Spit-zenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen dafür zu sorgen, dass der Sicherstellungsauftrag tatsächlich auch für wohnungslose Patienten erfüllt wird.
Da viele wohnungslose Menschen aktuell keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zur medizinischen Versorgung haben, sind die im Rahmen der Wohnungslosenhilfe entstandenen medizinischen Projekte zur Versorgung Wohnungsloser entsprechend auch von den Kommunen mitzufinanzieren.
Verstärkte Zuwanderung macht weitere Hilfen notwendig
In den Einrichtungen und Diensten der Wohnungslosenhilfe liegt der Anteil der Klienten und Klientinnen mit Migrationshintergrund bei 25 %, in der Gesamtbevölkerung bei ca. 20 %. Für anerkannte Flüchtlinge wird es zunehmend zu einem Problem nach dem Auszug aus den Flüchtlingsunterkünften Wohnraum zu finden. Menschen ohne oder mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus leben in Unsicherheit und Angst vor Entdeckung. Diese Menschen ohne gültige Papiere wenden sich auf der Suche nach Hilfe an niedrigschwellige Angebote der Wohnungslosenhilfe.
„Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen - unabhängig von der Nationalität - das Grundrecht auf Menschenwürde, Leben, körperliche Gesundheit und Schutz der Familie. Deswegen fordern wir von den Kommunen, dass sie den wohnungslosen Migrantinnen und Migranten den uneinge-schränkten Zugang zu Angeboten der Notversorgung ermöglichen. Aber die Kommunen kann man mit diesen Aufgaben nicht alleine lassen. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die kommunale Notversorgung mitzufinanzieren. Nur so kann vor Ort der zunehmende Hilfebedarf durch verstärkte Zuwanderung abgedeckt werden“, sagte Winfried Uhrig.
Wohnungslosenhilfe bietet Erfahrung und Zusammenarbeit an
„Die Wohnungslosenhilfe hat sich in all diesen Bereichen große Kompetenz und Erfahrung erarbeitet und vor Ort vielfältige Angebote der stationären, teilstationären und ambulanten Hilfe für Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit aufgebaut. Die Politik muss jetzt handeln! Keine Ebene darf sich aus der Verantwortung stehlen. Die Wohnungslosenhilfe ist sowohl auf Bundes- und Landesebene also auch vor Ort zur Kooperation bereit“, versicherte Winfried Uhrig.