BAG Wohnungslosenhilfe fordert Nachbesserungen bei Gesetzespaket zur Sozialhilfe- und Arbeitsmarktreform

Die Bundesregierung hat mit der "Grundsicherung für Arbeitssuchende" (Arbeitslosengeld II, "Hartz IV"), der Reform der Arbeitsförderung (SGB III, "Hartz III") und der Reform des Sozialhilferechts drei weit reichende Gesetzesentwürfe vorgelegt, die vor allem die letzten sozialen Auffangnetze in der Bundesrepublik grundlegend neu ordnen. Die Einführung der Grundsicherung für Arbeitslose als Sockelleistung für alle Menschen, die nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, kann die Sozialämter von einer Vielzahl von Verwaltungsakten entlasten. Dies bietet die Chance, das Profil des Bundessozialhilfegesetzes in seinem wesentlichen Kern zu stärken: Als persönliche, individuell zugeschnittene Hilfe und Beratung.

Allerdings schafft der vorgelegte Gesetzentwurf zur Reform des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nunmehr ein viergliedriges System sozialer Absicherung. Das zukünftige Nebeneinander von Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Grundsicherung und Hilfe zum Lebensunterhalt (SGB XII) erhöht die Intransparenz der sozialen Sicherungssysteme für die Bürgerinnen und Bürger. Die BAG W spricht sich wie der Deutsche Verein für ein dreigliedriges soziales Sicherungssystem aus, das aus den Säulen Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II und einer auf der Basis der Prinzipien des bisherigen BSHG reformierten Grundsicherung besteht. Dieses System ist allerdings in der Kürze der bis zum Inkrafttreten der neuen Gesetze verbleibenden Zeit nicht umzusetzen.

Deshalb unterstützt die BAG W die Position des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, der sich dafür ausspricht, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII als unterstes soziales Netz für den nicht vorrangig durch ALG II und Grundsicherung abgesicherten Lebensunterhalt zu erhalten.

Bei der Neufassung des Soziahilferechts und des Rechts auf Arbeitsförderung darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass Arbeitsvermittlung die Schaffung von Arbeitsplätzen niemals ersetzen kann. Die Reform darf nicht dazu führen, dass die Strukturprobleme des Arbeitsmarktes einseitig auf die Schultern der Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen abgewälzt werden.

Die konkrete Ausgestaltung der Gesetzesentwürfe weist aus der Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) eine Reihe von gravierenden Schwächen auf, die zu mehr Bürokratie, geringerer Zielgenauigkeit und mehr statt weniger sozialer Ausgrenzung für arme und benachteiligte Menschen führen werden. Wir fordern daher die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat auf, im anstehenden Beratungsprozess eine Reihe von Regelungen neu zu fassen oder zu streichen.

REFORM DER ARBEITSLOSENHILFE UND SOZIALHILFE

Leitlinie für die Ausgestaltung der vorgelegten Gesetzesentwürfe muss sein, dass die bisher im BSHG verankerten Prinzipien der Bedarfsgerechtigkeit, der Einzelfallgerechtigkeit und der Absicherung eines Lebens in Würde gewährleistet sind.

Höhe der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht ausreichend

Die Höhe des neuen Arbeitslosengeld II soll auf das gegenwärtige Niveau der Sozialhilfe abgesenkt werden. Dadurch nimmt die Zahl der Haushalte in prekären Einkommenslagen sprunghaft zu. Die BAG W ist der Auffassung, dass schon das heutige Niveau der Sozialhilfe nicht bedarfsdeckend ist und den Verbrauchsgewohnheiten nicht gerecht wird. Deshalb ist die Grundsicherung für Arbeitssuchende durch ein anerkannt wissenschaftliches Verfahren mit Hilfe des Statistikmodells und der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) neu festzusetzen.

Verhältnis von Mehrbedarfen und pauschalen Leistungen besser austarieren

Pauschalierungen sind dann ein sinnvoller Schritt zur Verwaltungsvereinfachung, wenn es sich um regelmäßig wiederkehrende Leistungen handelt. Dennoch bleiben Mehrbedarfe im Rahmen des letzten Auffangnetzes typische Bedarfssituationen, die nicht Teil der Pauschalen sein sollten. Wir begrüßen deshalb, dass die Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten sowie Erstausstattung für Bekleidung als einmalige Leistung auch für Arbeitssuchende in der Grundsicherung (ALG II) erhalten bleiben (SGB XII; § 32, Abs. 1). Diese Regelung sollte sich auch auf Wohnungsbeschaffungskosten, Grundausstattung an Mobiliar und größere Renovierungen beziehen.

Die Höhe der Pauschale sollte sich an einem Regelsatz orientieren, der durch ein umfassendes Statistikmodell und einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe neu festgesetzt wird. Um soziale Verwerfungen zu vermeiden und die Armutsfestigkeit der Pauschalen sicherzustellen, sind bis zu dieser Regelung die Pauschalen um einen Beitrag von bis zu 25 % des Regelsatzes eines Haushaltsvorstands zu erhöhen.

Recht auf Sozialhilfe für Arbeitssuchende im Arbeitslosengeld II auch nachrangig sicherstellen

Es ist sinnvoll, Mehrfachzuständigkeiten (Verschiebebahnhöfe) zu vermeiden. Dies darf aber nicht auf Kosten der sozialen Absicherung der Armutsbevölkerung gehen. Deshalb ist für Arbeit Suchende auch die Möglichkeit zu schaffen, einmalige Bedarfe nach SGB XII geltend zu machen, wenn sie keine Regelsatzleistungen benötigen, jedoch den Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln nicht decken können. Sowohl im SGB II (ALG II) als auch im SGB XII muss daher eine grundsätzliche Klarstellung erfolgen, nach der Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II (ergänzende) Leistungen nach dem SGB XII ("BSHG") nicht ausschließt.

Ferner muss bei der Umsetzung des Arbeitslosengeldes II streng darauf geachtet werden, dass die Hilfen in besonderen Lebenslagen nach SGB XII bei Bedarf in vollem Umfang komplementär zum Arbeitslosengeld II gewährt werden. Die zukünftige Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§ 62-64 SGB XII), die wesentliche Rechtsgrundlage der Wohnungslosenhilfe, muss für alle Bezieher des Arbeitslosengeldes II bei Bedarf voll zugänglich sein.

Feststellung der Erwerbsfähigkeit neu regeln

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll in Zukunft derjenige /diejenige erwerbsfähig sein, der/ die "gegenwärtig oder voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann". Dadurch entsteht eine Lücke in der Grundsicherung (ALG II, bzw. Grundsicherung nach dem Grundsicherungsgesetz, GsiG) zwischen Personen, die im Sinne des ALG II nicht erwerbsfähig sind und Personen, die erwerbsunfähig im Sinne der Rentenversicherung sind. Diese sollte in der Form geschlossen werden, dass erwerbsfähig im Sinne des ALG II alle volljährigen Personen sind, die das Eintrittsalter für die Altersversorgung noch nicht erreicht haben und die Voraussetzungen des § 43 SGB VI nicht erfüllen. Die BAG W fordert vom Gesetzgeber, dass die Feststellung der Erwerbsfähigkeit nicht von den zukünftigen Agenturen für Arbeit, sondern - wie bewährt und üblich - von den Rentenversicherungsträgern nach medizinischen Kriterien (§ 43 SGB VI) festgestellt werden.

Die geplante Einführung einer Einigungsstelle (§ 8, Abs. 2 in Verbindung mit § 45) führt zu bürokratischen Hürden, die den Hilfeerfolg gefährden. Die Einigungsstelle ist auch deshalb in Frage zu stellen, weil sie ausschließlich von auch finanziell interessierten Trägern besetzt wird. Damit ist die erforderliche Neutralität nicht sichergestellt.

Hilfen zur Verhinderung von Wohnungsverlust nicht einschränken

Im Rahmen des Arbeitslosengeldes II werden bisher verfügbare Leistungen zur Verhinderung des Wohnungsverlustes deutlich eingeschränkt. Die Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen (zukünftig § 35 SGB XII) stehen prinzipiell auch den Beziehern des Arbeitslosengeld II nach § 5 ALG II zur Verfügung. Jedoch kann u.a. die Übernahme von Mietschulden nach § 16 ALG II von den Agenturen für Arbeit erbracht werden. Hier gilt allerdings die wesentlich enger als im bisherigen BSHG, bzw. neuen SGB XII gefasste Mietschuldenübernahmenorm des ALG II. Danach können Mietschulden

- nur als Darlehen

- und auch nur dann übernommen werden, wenn der drohende Verlust der Wohnung die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindern würde.

Durch diese geplante Neuregelung würde die vor kurzem erweiterte Möglichkeit zur Mietschuldenübernahme nach § 35 SBG XII unterlaufen werden. Nach § 35 SGB XII sollen Mietschulden dann übernommen werden, "wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht."

Die BAG W fordert - im Sinne der Öffnung des SGB XII für (ergänzende) Leistungen - die Streichung der restriktiven Regelung in ALG II und die Möglichkeit , dass allen Beziehern von ALG II (SGB II)- übrigens wie bisher den ArbeitslosenhilfebezieherInnen bei Bedarf auch-, die Leistungen des § 35 SGB XII offen stehen.

Keine Öffnungsklausel zur Pauschalierung von Unterkunft und Heizung

Prinzipiell werden auch in Zukunft Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Kosten erstattet, sofern sie angemessen sind. Allerdings eröffnen die Gesetzentwürfe die Möglichkeit für die Agenturen für Arbeit und/oder die Kommunen, Pauschalen festzusetzen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt "hinreichend angemessener Wohnruam verfügbar und in Einzelfällen die Pauschalierung nicht unzumutbar ist." (SGB II, § 31, Abs. 2). Die BAG W hält diese Öffnungsklausel für zu weit gehend und befürchtet, dass auf diese Weise die Mietobergrenzen, die ohnehin schon sehr niedrig liegen, weiter abgesenkt werden.

Dies wird die Zugangschancen Wohnungsloser und anderer schwer vermittelbarer Gruppen weiter verschlechtern.

Fördern und Fordern ja - Strafen nein

Die beiden Gesetzesentwürfe sind in ihrem Bemühen, den Forderungscharakter der sozialen Sicherung stärker zu betonen, an vielen Stellen weit übers Ziel hinaus geschossen. Statt zu fördern werden Strafkataloge definiert, die zu mehr sozialer Ausgrenzung führen werden. Dies hat nichts mit Fordern, sondern mit Strafen zu tun.

Die BAG W lehnt entschieden folgende neu geschaffene Sanktionen ab:

  • Nach § 40 SGB XII (Sozialhilfe) soll die Ablehnung eines Unterstützungsangebotes oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung die Absenkung des maßgeblichen Regelsatzes um bis zu 25% zur Folge haben. Wir lehnen eine Zwangsberatung von Sozialhilfeempfängern ab, da auf diese Weise nicht die notwendige Kooperation mit den Hilfesuchenden gewährleistet werden kann. Diese Regelung wird zu einer massiven Störung des Vertrauensverhältnises zwischen Beratern und Klienten und zu mehr sozialer Ausgrenzung und Armut führen.

  • Wir lehnen die Möglichkeit einer Umwandlung der Geldleistung in Sachleistungen, z.B. Lebensmittelgutscheine nach § 23, Abs. 2 der Grundsicherung für Arbeitssuchende strikt ab. Die geplante Regelung, ins. bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit statt Geldleistungen Sachleistungen auszugeben, bedeutet eine Stigmatisierung der Betroffenen und führt zu Ihrer Diskriminierung, fördert die soziale Ausgrenzung und verhindert vor allem nicht die unwirtschaftliche Verwendung von Sozialleistungen.

  • Das abgestufte Sanktionssystem im Gesetz zum Arbeitslosengeld II sieht bei einer wiederholten Pflichtverletzung ebenfalls die Ausgabe von Lebensmittelgutscheinen vor (§ 31, Abs. 2). Wir fordern die Streichung dieser Regelung.

  • Der Ausschluss des Arbeitslosengeldes II -bis auf die Leistungen für Unterkunft -im Falle von Pflichtverletzungen bei 15- bis 25-jährigen Menschen ist völlig inakzeptabel (ALG II, § 31, Abs. 4). Es ist nicht nur ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung nach Art. 3, Abs. 2 Grundgesetz, sondern fördert das Misstrauen der jungen Generation in den Staat und ist dazu geeignet, schon frühzeitig soziale Ausgrenzung festzuschreiben. Es besteht kein rechtlicher und materieller Grund eine Sonderregelung für Heranwachsende und junge Erwachsene einzuführen.

REFORM DER SOZIALVERWALTUNG, DER ARBEITSVERMITTLUNG UND ARBEITSFÖRDERUNG

Die bisherigen Reformbemühungen zur Effizienzsteigerung der sozialen Leistungserbringung konzentrieren sich einseitig auf die Arbeitsverwaltung. Dabei gerät die überragende Rolle des bisherigen Sozialamtes zur Koordination und Planung der sozialen Hilfeanbieter aus dem Auge. Während in anderen europäischen Ländern die Reform der Sozialverwaltung der Reform der Arbeitsverwaltung vorausging, hinkt Deutschland hier weit hinterher.

Reform der Organisation der Sozialhilfe erforderlich - Vom Sozialamt zur Sozialagentur

Es bedarf einer Reform der Organisation der sozialen Hilfen (Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen) mit dem Ziel einer Weiterentwicklung des Sozialamtes zu einer Sozialagentur, die soziale Dienstleistungen in Kooperation mit den Diensten der freien Wohlfahrtspflege koordiniert, plant und vermittelt. Die künftigen Sozialagenturen sollten als die Profis der sozialen Integration die Aufgabe übernehmen, die soziale Kompetenz der freien Wohlfahrtspflege und der Sozialämter in das Jobcenter der lokalen Agenturen für Arbeit zu bringen. Diese Kooperation bedarf einer klaren gesetzlichen Regelung, die die Zusammenarbeit von Arbeitsamt und Sozialamt so regelt, dass es zu einer effizienten und effektiven Kooperation kommt.

Clearingstelle für schwer vermittelbarer Arbeitslose im Jobcenter

Im Vorfeld einer Organisationsreform der Sozilhilfe sollte die Bundesregierung im Rahmen von Jobcentern Clearingstellen fördern, die in gemeinsamer Trägerschaft von Kommune (Sozialamt) und Bund (Arbeitsamt, bzw. geplante Arbeitsagentur) Clearingfunktionen für die besonders schwer vermittelbaren Arbeitslosen, ins. auch der Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten wahrnehmen.

Dabei sind vorrangig Verträge mit den Anbietern der Freien Wohlfahrtspflege, ins. auch den Trägern der Hilfe für Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten nach § 62 SBG XII (bisher § 72 BSHG) zu schließen.

Diese integrative Lösung erspart der Bundesanstalt für Arbeit auch die Einstellung und Schulung von geschätzt ca. 11800 neuen MitarbeiterInnen.

Recht auf selbstbestimmte und sinnvolle Beschäftigung mit angemessener Entlohnung

Die im Rahmen der Wohnungslosenhilfe entwickelten Arbeitshilfen sollten im Rahmen regionaler bzw. kommunaler Arbeitshilfeverbünde zu flexiblem Modulen des Übergangs vom zweiten zum ersten Arbeitsmarkt, bzw. als subventionierte Arbeitshilfen gestaltet werden. Die BAG W tritt für ein Recht auf selbstbestimmte und sinnvolle Beschäftigung mit angemessener Entlohnung ein, wenn eine dauerhafte Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht gelingt. Dazu sind zwischen den Jobcentern der künftigen Agenturen für Arbeit und den Trägern der Wohnungslosenhilfe vertragliche Regelungen zu treffen.

Die BAG W lehnt den im SGB II (ALG II) vorgesehenen Ausschluss von Leistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die stationär untergebracht sind, ab. Neben der Beratung nach § 72 BSHG (zukünftig §§ 62-64 SGB) muss auch das Erbringen materieller Hilfeleistungen gewährleistet sein.

Die BAG W wird den weiteren Gesetzgebungsprozess kritisch begleiten und Vorschläge zur besseren Verzahnung der Kooperation von Arbeitsfördermaßnahmen und Sozialhilfemaßnahmen vorlegen.

Berlin, 2.09.2003

PRM_2003_09_02_SGB.pdf