Neuer Armuts- und Reichtumsbericht stellt Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit völlig unzureichend dar

BAG Wohnungslosenhilfe fordert echte Beteiligung statt Feigenblattpolitik

Bielefeld, 26.11.2012. Anlässlich der bevorstehenden Verabschiedung des IV. Armuts- und Reichtumsberichtes (Fassung vom 21.11.2012) durch die Bunderegierung moniert die BAG Wohnungslosenhilfe e.V., der Dachverband von mehr als 1200 Diensten und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, die völlig unzureichende Darstellung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit im Bericht.

Gewählte Methode unzureichend

Wie der ARB IV auf S. 74 selbst einräumt, ist der lebenslaufbezogene Ansatz für die Darstellung der Problematik der Wohnungslosigkeit ungeeignet; das gilt – wie der Bericht festhält- auch für die Themen Straffälligkeit und Überschuldung. Das Gleiche kann man aber auch für Suchtproblematik, Behinderung und psychische Krankheiten behaupten und letztlich für die Analyse und Darstellung von Armut im Bericht generell behaupten.

Der lebenslaufbezogenen Ansatz ist zwar an einzelnen Punkten zur Feststellung von Interventionsbedarfen brauchbar, allerdings nur dann, wenn man ihn nicht zum leitenden Prinzip macht, sondern als Erkenntnismittel innerhalb eines lebenslagenbezogenen Ansatzes verwenden würde. Als methodisches Generalprinzip unterläuft der lebenslaufbezogene Ansatz jedoch den erforderlichen Gesamtblick auf eine Lebenslage und steht damit einem ganzheitlichen Politikansatz entgegen.

Zur Darstellung von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit im ARB IV

Das methodische Prinzip der Lebenslauforientierung führt zur Verbannung des Themas Wohnungslosigkeit in den Bereich der statistischen Indikatorendarstellung. Damit wird das Thema nicht nur darstellerisch auf Statistik reduziert, sondern auch in der Darstellung selbst werden keinerlei Zusammenhänge – von denen es reichlich gibt – deutlich. Es findet eine reine Zahlenhuberei statt, die im Bericht zu keinerlei Schlüssen führt.

Die weitere Zusammenstellung der Themen ist willkürlich und reflektiert in keiner Weise das von uns an die Bundesregierung übersandte Material.

Kurzzeithilfen dominant?

Unter Verweis auf eine Statistik der BAG W wird behauptet, die Wohnungslosen würden zu 60 % die Hilfe maximal drei Monate benötigen. Das ist eine grob unzulässige Interpretation der Daten:

  • Die Tabelle zeigt nur die Verweildauer auf, nicht die Hilfenachfrage; die kann vorher oder nachher weitergehen, z.B. durch Vermittlung an andere Stellen (in der Regel 30-40%).
  • Es handelt sich nicht um Familien und Alleinstehende, sondern fast nur um Alleinstehende
  • Aus der Verweildauer kann in keiner Weise auf den Erfolg der Hilfe geschlossen werden, da er gar nicht erhoben wird.

Psychische Krankheit ein Leitsymptom?

So wird im Abschnitt „Aufsuchende Hilfen wirken“ ein Thema aufgegriffen, das maximal 1500 -2000 Menschen von ca. 150.000 betroffenen alleinstehenden Personen betrifft. Zudem wird noch durch fehlerhafte Interpretation der Daten von Freudenberg (2012) der Eindruck erweckt, die Mehrheit der Straßenpopulation sei psychisch krank. Ferner steht in keiner Weise fest, ob psychische Krankheit zur Wohnungslosigkeit führt oder nicht vielmehr dadurch verstärkt wird.

Präventive Maßnahmen haben Vorrang

Im Schlussabschnitt verweist der Bericht auf Kommunen und Länder als Verantwortliche für Prävention. Der Bund bleibt völlig außen vor. Das ist – wie zahlreiche Stellungnahmen der BAG W belegen – völlig unzutreffend:

  • Nachweisbar führen die Sanktionen im SGB II bei Jugendlichen vermehrt zu Wohnungsverlusten
  • Die Instrumentenreform hat zu einer Streichung der Arbeitsförderung um 50-60 % geführt, die ins. die sozial Ausgegrenzten trifft
  • Der Bund ist zuständig für die Koordinierung einer Gesamtstrategie gegen Wohnungsnot, zu der als grundlegendes Element eine Wohnungsnotfallstatistik gehört.
  • Der Bund ist mitzuständig für die Verausgabung der ESF- Mittel zur Armutsbekämpfung. Ein Verweis auf ESF-Förderprogramme zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit fehlt – in der Tat gibt es sie auch nicht, aber sie wären notwendig.

Bisherigen Beteiligungsformen der zivilgesellschaftlichen Organisationen am ARB IV ungenügend:

  • Fachbezogene Materialien der BAG W werden so gut wie nicht genutzt
  • Die Termine werden viel zu kurzfristig angesetzt, so dass der Eindruck entsteht ist, eine Beteiligung sei von der Regierung gar nicht gewünscht.
  • Das Streichen der letzten Sitzung des offiziellen Beraterkreises und die Reduktion der „Beteiligung“ auf eine schriftliche Stellungnahme verstärken diesen Eindruck.
  • Die BAG W fordert, den gesamten Beteiligungsprozess neu, transparent und so wirksam zu gestalten, dass er das Wort „Beteiligung“ verdient.

Resümee

Es handelt sich um eine unvollständige und zum Teil irreführende Darstellung von Wohnungslosigkeit in Armuts- und Reichtumsbericht IV.

Die wesentlichen Bereiche der sozialen Ausgrenzung wohnungsloser Menschen werden nicht dargestellt: Sozialhilfe und Sozialhilfegewährungspraxis, Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit inkl. Notversorgung, Arbeitsmarkt und Arbeitsförderung sowie Gesundheit und Gesundheitsförderung.

Alternativer Schattenbericht der Nationalen Armutskonferenz gibt realistisches Bild von Armut und Wohnungsnot

Der unter dem Namen „Die im Schatten sieht man nicht“ veröffentlichte „Schattenbericht“ der Nationalen Armutskonferenz zum ARB IV (anliegend), an dem u.a. auch die BAG W mitgearbeitet hat, gibt dagegen ein umfassendes und realistisches Bild der Armut in kurzer und prägnanter Form.

Wohnungslosenzahlen werden im Zuge der Wohnungsnot kräftig ansteigen

Da es in Deutschland keine Statistik zur Wohnungslosigkeit gibt, muss die BAG W die Zahl der Wohnungslosen schätzen. Laut BAG W ist die Zahl der Wohnungslosen von 2008 bis 2010 um 10% auf 248.000 Personen gestiegen. Bis 2015 prognostiziert die BAG W sogar einen weiteren drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit um 10 bis 15% auf dann 270.000 bis 280.000 Menschen. Schon jetzt leben wieder mehr Wohnungslose auf den Straßen leben als in den Jahren zuvor.

Die BAG W Wohnungslosenhilfe fordert daher von der Bundesregierung einen Nationalen Rahmenplan gegen Wohnungsnot, Wohnungslosigkeit und Armut wie es ihn auch in anderen EU- Staaten wie Frankreich, Irland und Finnland gibt.