Zwischen Kältetod und Infektionsgefahr

BAG W: Corona-Pandemie erfordert Ausweitung der Kältehilfe für wohnungslose Menschen

Berlin, 09.12.2020. Auch in diesem Jahr sind noch vor Winterbeginn mindestens zwei wohnungslose Menschen bei niedrigen Temperaturen auf der Straße verstorben. Bei einem weiteren Fall ist die genaue Todesursache noch durch Obduktion zu klären. Angesichts der Corona-Pandemie müssen die Kommunen Angebote der Kältehilfe deutlich aufstocken. Darauf weist heute die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W), der Dachverband der Hilfen in Wohnungsnotfällen in Deutschland, hin.

Die Fälle

Bereits am 28.09.2020 wird ein 50-jähriger Mann in der Bruchsaler Innenstadt tot aufgefunden. Die angeordnete Obduktion stellte Tod durch Unterkühlung fest.

In Mainz erfriert am 4.12.2020 eine 72 Jahre alte Frau in ihrem Zelt in einer Grünanlage.

Bei einem anderen aktuellen Fall aus Hamburg vom 5.12.2020 sind die Untersuchungen zur Todesursache noch nicht abgeschlossen.

Die BAG W dokumentiert fortlaufend die Kältetoten anhand von systematischen Presseauswertungen. Bei den Angaben handelt sich um eine Mindestzahl der Todesfälle. Eine nicht bestimmbare Anzahl weiterer Todesfälle wird nicht öffentlich bekannt und kann daher nicht erfasst werden.

Durch Corona zusätzliche Gefahren

In jedem Winter sterben wohnungslose Menschen den Kältetod auf der Straße. Seit 1991 sind mindestens 320 Kältetote unter den Wohnungslosen zu beklagen. Von der Kälte besonders bedroht sind die über 41.000 wohnungslosen Menschen in Deutschland, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben.

Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W: „Wir befürchten, dass für wohnungslose Menschen der bevorstehende Corona-Winter noch gefährlicher wird. Die notwendigen Corona-Schutzmaßnahmen erfordern eine deutliche Ausweitung der Kältehilfeangebote, sonst sind Abstandsgebote, Hygienemaßnahmen etc. nicht einzuhalten. Bislang können wir aber nicht erkennen, dass Kommunen flächendeckend Übernachtungsangebote in der Kältehilfe bzw. bei der ordnungsrechtlichen Unterbringung ausgeweitet haben. Dies hat zwei Konsequenzen: Entweder werden die Corona-Beschränkungen umgesetzt, dann führt dies zu einer drastischen Verknappung der Unterkunftsplätze und/oder der Aufenthaltszeiten in den Hilfeeinrichtungen. Wird nicht pandemiegerecht untergebracht, besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko für die Hilfesuchenden. Einerseits wird es nicht genügend Unterkunftsplätze geben, so dass Hilfesuchende im kommenden Winter ganz auf der Straße bleiben müssen bzw. bewusst Notübernachtungen aus Angst vor der Ansteckungsgefahr meiden. Andererseits besteht in nicht pandemiegerechten Notunterkünften eine erhöhte Infektionsgefahr für die häufig bereits gesundheitlich vorbelasteten Hilfesuchenden.“

Jetzt handeln!

Die BAG W fordert von den Kommunen einen am tatsächlichen Bedarf ausgerichteten Bestand menschenwürdiger und pandemiegerechter, möglichst dezentraler Unterbringungsmöglichkeiten. Benötigt werden 24/7-Unterkünfte, in denen man sich auch tagsüber aufhalten kann und die u. U. auch mit Hunden aufgesucht werden können. Befristungen des Aufenthaltes auf einen oder wenige Tage pro Monat müssen beendet werden. Spezielle Schutzräume für wohnungslose Frauen sind notwendig. Darüber hinaus sollten die Stadt- und Kommunalverwaltungen telefonische Notrufe einrichten und die Bürgerinnen und Bürger auffordern, bei Notfällen nicht wegzugucken, sondern umgehend zu melden, wenn sie eine hilflose, durch die Kälte gefährdete Person sehen. Aktiv aufsuchende Kältebusse retten im Zweifelsfall Leben. Sie sollten vor allem in Städten mit vielen auf der Straße lebenden Menschen zum Einsatz kommen.

Testungen, Quarantäne und Isolation sicherstellen, Impfungen ermöglichen

Rosenke: „Viele wohnungslose Menschen sind aufgrund ihrer Lebenssituation stark gefährdet. Deswegen müssen in den Diensten und Einrichtungen Corona-Tests durchgeführt werden. Dies geschieht bislang vollkommen unzureichend. Häufig müssen die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe die Kosten für Testungen selbst finanzieren – weder Bund, Länder noch Kommunen beteiligen sich ausreichend an den Kosten. Dies bringt viele Einrichtungen schnell an ihre finanziellen Grenzen. Hinzukommen müssen Räumlichkeiten, um Quarantäne und Isolation sicherzustellen.“

Wohnungslose Menschen müssen dringend bei der Corona-Impfstrategie berücksichtigt werden, denn wohnungslose Menschen leiden häufiger als die Mehrheitsbevölkerung unter Mehrfacherkrankungen. Sie gehören also zur Corona-Risikogruppe. Ihnen muss ein niedrigschwelliger Zugang zu Impfungen ermöglicht werden.
Rosenke: „In dieser Notlage dürfen die Angebote der Wohnungslosenhilfe keinesfalls weiter beschränkt werden. Dies kann nur gelingen, wenn die Hilfeangebote entsprechend gut ausgestattet und der Krisensituation angepasst sind: Die Wohnungslosenhilfe benötigt Schutzutensilien in ausreichender Menge, ebenso wie präventive Corona-Tests und die systematische Einbindung in die Impfstrategie.“

Nachrichtlich: In ihrer aktuellsten Schätzung hatte die BAG W im November 2019 für das Jahr 2018 eine Jahresgesamtzahl von knapp 680.000 wohnungslosen Menschen in Deutschland geschätzt, darunter ca. 440.000 wohnungslose Geflüchtete und ca. 240.000 Menschen im Wohnungslosensektor. Die Zahl der Menschen, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, schätzt die BAG W für das Jahr 2018 auf 41.000. (siehe.PM vom 11.11.2019)

Pressekontakt:
Sabine Bösing, stellv. Geschäftsführerin,030 – 284 4537 20, sabineboesing@bagw.de

 

PRM_2020_12_09_Kaeltetod_und_Infektionsgefahr.pdf