Der Sozialstaat gehört allen!

Menschen in Armut und Wohnungsnot haben ein Recht auf
Wohnen, Arbeit, Gesundheit!

Eine Aktion der BAG Wohnungslosenhilfe im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung

Die Europäische Union hat das Jahr 2010 zum „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ erklärt. Auch die Bundesregierung hat sich damit verpflichtet, „einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ zu leisten und das „Grundrecht der von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen auf ein Leben in Würde und auf umfassende Teilhabe an der Gesellschaft“ anzuerkennen. (Beschluss der EU vom 22. 10. 2008)
Die Bundesregierung lässt jedoch extreme Armut, Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot, die immer untragbareren Gesundheitskosten für Arme und die Zunahme der Wohnungslosigkeit unter den jungen Bürgerinnen und Bürgern unbeachtet. Stattdessen wird von Teilen der Bundesregierung in beispielloser Weise gegen Arbeitslosengeld II-Beziehende Stimmung gemacht. Aber nicht nur Politiker, auch Feuilleton und Interessenverbände in Wirtschaft und Wissenschaft polemisieren gegen Arme und Ausgegrenzte: Die SGB II-Regelsätze, die sog. HARTZ IV-Leistungen, seien zu üppig; ALG II-Beziehende sollten Sachleistungen für sich und ihre Kinder erhalten, weil sie das Geld nur für Alkohol, Tabak und Junk Food ausgäben, die Kosten für ihre Wohnungen sollten pauschaliert werden, damit sie lernten sich zu bescheiden.

Wir sind der Überzeugung, dass Wohnungslosigkeit, Wohnungsnot und soziale Ausgrenzung im „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ auf die Tagesordnung in Deutschland gehören.
Wir rufen Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker, gesellschaftliche Verbände und Organisationen auf, sich an der Kampagne „Der Sozialstaat gehört allen!“ zu beteiligen.

. . . und morgen ohne Wohnung?

In Deutschland sind nach Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. ca. 223.000 Menschen wohnungslos, 20.000 von ihnen leben ganz ohne Unterkunft auf der Straße. Im letzten Winter sind mindestens 18 wohnungslose Männer auf der Straße, in Erdhöhlen, auf Parkbänken, in Hauseingängen erfroren. Bisher hatte keine Bundesregierung ein Interesse daran, eine offizielle Statistik zur Erfassung der Wohnungslosigkeit einzuführen.

Zu viele Menschen sind vom Wohnungsverlust unmittelbar bedroht: Nach Schätzung der BAG W sind dies ca. 103.000 Menschen bzw. ca. 53.000 Haushalte.
Der Bestand an öffentlich gefördertem und damit preiswertem Wohnraum nimmt überall ab, da die Belegungsbindungen sukzessive auslaufen. Diese Tendenz des knapper werdenden gebundenen Mietwohnungsbestandes wird befördert durch den Verkauf kommunaler und landeseigener Wohnungsbaubestände an private Investoren.

In vielen Städten und Gemeinden fehlt somit Wohnraum zu angemessenen Preisen. Die Mietobergrenzen sind zu niedrig angesetzt, insb. mangelt es an preiswerten Klein- und Großwohnungen.
Mietkautionen müssen i. d. Regel sofort in Raten zurückgezahlt werden, die vom Regelsatz abgezogen werden. Diese rechtswidrige Praxis zusammen mit den nicht an den örtlichen Mietspiegeln angepassten Mietobergrenzen und der pauschalen Begrenzungen der Betriebs- und Heizkosten ist für viele arme Haushalte ein weiterer Schritt in die Verschuldungsspirale, die letztlich zu Mietrückständen und damit zu Wohnungsverlusten führen kann.

Sollten die Kündigungsfristen – wie im Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen verankert – generell auf drei Monate gesenkt und die Kosten der Unterkunft sowie der Mietnebenkosten im Rahmen von Hartz IV pauschaliert werden, ist ein Ansteigen der Zahl von Wohnungslosigkeit bedrohter Menschen bzw. wohnungsloser Menschen nicht auszuschließen.

Man müsste noch mal 20 sein . . . .!?

Arbeitslose junge Erwachsene unter 25 Jahren erhalten Leistungen für Unterkunft und Heizung in einer eigenen Wohnung nach dem SGB II nur, wenn der kommunale Träger diese vor Abschluss des Mietvertrages zugesichert hat. Bei vielen dieser jungen Leute ohne Job und ohne Ausbildung sind die Auszüge aber nicht geplant und gut vorbereitet; oft fliehen sie vor unhaltbaren häuslichen Verhältnissen oder werden von den Eltern vor die Tür gesetzt. Viele landen in außerordentlich prekären und nicht selten von Gewalt und Missbrauch geprägten Lebenssituationen. Der Anteil der jungen Frauen und Männer unter den Wohnungslosen ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen.

Darüber hinaus kommt es bei U-25-Jährigen häufig zu Sanktionen, sogar in nicht wenigen Fällen zu 100%-Kürzungen. Die Sanktionsquote bei den U-25-Jährigen liegt bei 10 % und ist damit mehr als dreimal so hoch wie bei den über 25-Jährigen. Hauptursache für Sanktionen sind mit einem Anteil von über 50% Meldeversäumnisse, d.h. Termine bei der Arbeitsvermittlung oder dem Ärztlichen Dienst wurden nicht eingehalten.

„Ohne Arbeit, keine Wohnung - ohne Wohnung, keine Arbeit“

Dauerhaft hohe Arbeitslosenraten, insb. der Langzeitarbeitslosigkeit, die schnelle Abnahme niedrig qualifizierter Arbeitsplätze, ohne dass gleichzeitig die Chance für alle auf einen qualifizierten Arbeitsplatz besteht, die rapide Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse – dieses sind Kennzeichen des Arbeitsmarktes. 90 % der wohnungslosen Männer und Frauen sind arbeitslos, zumeist langzeitarbeitslos. Sie haben oft ein Einkommen, das noch unter den Eckregelsätzen des SGB II / XII liegt, viele verfügen über gar kein Einkommen. Der Teufelskreis „Ohne Arbeit, keine Wohnung - ohne Wohnung, keine Arbeit“ muss durchbrochen werden, denn das Ziel einer sozialen Arbeitsmarktpolitik muss es sein, den Lebensunterhalt über Erwerbsarbeit zu sichern.

. . . es geht doch auch ohne?! Gesundheitsversorgung – ein Luxus?

Trotz eines Einkommens, das oft unter dem Existenzminimum liegt, müssen Wohnungslose Praxisgebühren und Zuzahlungen zu Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln leisten. Ihr Gesundheitszustand ist entsprechend besonders schlecht.

Arme PatientInnen sparen an der gesundheitlichen Versorgung und riskieren damit eine Verschleppung und Chronifizierung ihrer Krankheiten, die letztlich zu steigenden Kosten im Gesundheitssystem führen können. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Arztkontakte bei Menschen mit schlechtem Gesundheitszustand und geringem Einkommen reduziert. Im Jahr 2006 gaben die bundesdeutschen Haushalte im Durchschnitt 83,00 € / Monat für Gesundheitspflege aus; Einpersonenhaushalte 67,00 €, Haushalte in der untersten Einkommensklasse (bis 1.300,- netto) 25,- €. In dem HARTZ IV-Regelsatz für einen Einpersonenhaushalt sind 14,- € monatlich für Gesundheitspflege vorgesehen.

Die in extremer Armut lebenden wohnungslosen Männer und Frauen wären nahezu gänzlich von der gesundheitlichen Versorgung abgekoppelt, wenn es nicht vor Ort medizinische Versorgungsangebote für Wohnungslose gebe oder die Wohnungslosenhilfe nicht für ihre Klientinnen und Klienten Praxisgebühren, die Kosten für Brillen und weitere Zuzahlungen übernehmen. Diese Grundversorgung ist aber in hohem Maße abhängig von Spenden und freiwilligem Engagement.

Wir fordern:

  • für alle Bürgerinnen und Bürger eine menschenwürdige, bedarfsgerechte und preiswerte Wohnraumversorgung: Bis 2015 soll niemand mehr auf der Straße schlafen müssen!
  • ein Verfassungsrecht auf Wohnen und eine feste Verankerung der Wohnungspolitik auf der Ebene des Bundes
  • eine bedarfsgerechte Grundsicherung
  • für alle Bürgerinnen und Bürger eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung
  • einen Existenz sichernden Mindestlohn

Denn: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“ (Artikel 25 der UN Menschenrechtscharta)

Notwendig sind:

  • der konsequente Ausbau der Prävention von Wohnungsverlusten, u. a. durch die Förderung von Zentralen Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten und die Übernahme von Schulden für Unterkunft und Heizung auch als Beihilfe
  • der Erhalt der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Mieterschutzes
  • ein SGB II – Regelsatz, der anhand eines aussagefähigen Statistikmodells ermittelt wird und die tatsächlichen Verbrauchskosten berücksichtigt
  • verbindliche Kriterien zur Festlegung der Mietobergrenzen - keine Pauschalierung der Kosten der Unterkunft; eine sozialräumliche Differenzierung dieser Mietobergrenzen sowie Einzelfallprüfungen zur Angemessenheit der Miete
  • Abschaffung der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft
  • ein Ende des staatlich festgelegten Auszugsverbots für junge Frauen und Männer, die weder über gut situierte Eltern noch über einen Arbeitsplatz verfügen
  • ein Rahmen für die soziale Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt; Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen müssen einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten
  • die Wiedereinführung der Befreiung von Zuzahlun-gen bei Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln sowie die Abschaffung der Praxisgebühren für Bezieher und Bezieherinnen von SGB II - und XII – Leistungen
  • Härtefallregelungen bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten und Hilfsmitteln
  • eine reguläre Finanzierung der niedrigschwelligen medizinischen Projekte für Wohnungslose durch Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen und Kommunen