Corona und die Auswirkungen auf Menschen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit und auf das Hilfesystem

Die aktuelle CORONA-Krise bedeutet für wohnungslose Menschen eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin prekären Lebenslage. Frühzeitig hat die BAG W eine Umfrage unter ihren Mitgliedern und Mitgliedseinrichtungen gestartet, um qualifizierte Informationen zu den Auswirkungen vor Ort zu erlangen und diese dem Hilfesystem zur Verfügung zu stellen. Den Rückmeldungen zufolge kam es bei den Einrichtungen und Hilfen zu gravierenden Veränderungen in den Angeboten und Platzkapazitäten. Beratungsstellen mussten ihr Angebot zurückfahren, niedrigschwellige Hilfen wie Tagestreffs, Mittagstische, Kleiderkammern etc. konnten nur sehr reduziert die benötigte Unterstützung anbieten. Auch die medizinischen Versorgungsangebote arbeiteten nur im Notbetrieb. In einzelnen Bundesländern wurde zunächst ein Aufnahmestopp für stationäre Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe verhängt. Es gab Empfehlungen, Personen nur bei Vorliegen eines negativen Coronatests aufzunehmen. In ordnungsrechtlicher Unterbringung und in Notübernachtungen sind wohnungslose Menschen – trotz der Bemühung von Kommunen, die Belegungssituation in den Unterbringungen zu „entzerren“ – nach wie vor in Mehrbettzimmern untergebracht. Die Ergebnisse zeigen, dass in Politik und Verwaltung zunächst weder die Lebensrealität der von Wohnungslosigkeit betroffenen oder bedrohten Menschen noch die Arbeitsbedingungen der Hilfen im Wohnungsnotfall als handlungsrelevant erkannt wurden. Unzureichende Steuerung und Informationsweitergabe durch die Gesundheitsdienste sorgten für weitere Verunsicherung. In der Phase einer „Neuen Normalität“ wurden flächendeckend Hygiene- und Schutzkonzepte bei uneinheitlichen Standards umgesetzt, die Angebote sind in veränderter Form wieder aufgenommen worden und die „Entzerrung“ erscheint nach lokalen Erfahrungen als eine Chance. Doch die jüngsten Entwicklungen zeigen: Die Zeiten bleiben unsicher und es entwickeln sich immer wieder neue Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Es herrscht weiterhin große Sorge um die Betroffenen sowie um die Mitarbeitenden und daran gekoppelt um die Existenz der Einrichtungen.

Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Berlin und Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Berlin, skizzieren in ihrem Beitrag die aus Sicht der Senatsverwaltung wesentlichen Maßnahmepakete eines auf die Beendigung der Obdachlosigkeit ausgerichteten Masterplans für Berlin. Hierzu zählen die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit, der Umbau des Unterbringungssystem zur sozialen Wohnraumversorgung, die Reform der Sozialen Wohnhilfen und der Abbau von Barrieren in die Regelsysteme, die Stärkung aufsuchender Hilfen und Notfallhilfen nach dem Empowerment-
Ansatz, die Weiterentwicklung der Unterbringungsträger zu sozialen Wohnungsträgern sowie die Bündelung der Wohnungslosenpolitik auf Senats- und Bezirksebene.

Nikolaus Meyer beschreibt in seinem Beitrag Folgen der aktuellen Corona-Pandemie für die Soziale Arbeit. Der Fokus der auf Basis einer Online-Befragung erfolgten Untersuchung ist auf die Ebene der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit gerichtet und vergleicht dabei die Arbeitsbedingungen zwischen verschiedenen Handlungsfeldern (Kinder- und Jugendarbeit bis zur Arbeit mit alten Menschen).

Anabell Specht, Navina Sarma und Andreas Lindner stellen in ihrem Beitrag das Charité COVID-19 Projekt für und mit Obdachlosen in Berlin vor. Das Projekt unterstützt einerseits das Infektionsmanagement durch Antigen-Schnelltests in den Berliner Notübernachtungen der Kältehilfe und entwickelt digitale Formate, um mit und für obdachlose Menschen den Zugang zu allgemeinen Informationen über COVID-19 und zu Testmöglichkeiten zu verbessern.

Bei dem Beitrag von John Kinsman und Tjede Funkist handelt es sich um die Übersetzung des Beitrags “Good Practices During the Covid-19 Pandemic for Organisations Supporting People Experiencing Homelessness: Findings from an EU Wide Survey”, der zuerst in der Herbstausgabe des FEANTSA-Magazins Homeless in Europe – The Impact of Covid-19 on Homeless People and Services erschienen ist. Die AutorInnen präsentieren darin Ergebnisse einer EU-weiten Umfrage unter Anbietern von Hilfen für wohnungslose Menschen zum Umgang mit der aktuellen COVID-19 Pandemie.

Ergänzt wird der Schwerpunkt durch die von der BAG Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) unmittelbar nach Beginn der Pandemie erstellte Forderung nach einem 10-Punkte-Sofortprogramm zum Schutz der von der Pandemie besonders betroffenen wohnungslosen Menschen.

Mitwirken. Mitgestalten. Sich beteiligen – unter diesem Titel fand im Oktober das erste Arbeitstreffen der im Sommer diesen Jahres im Rahmen zweier Videokonferenzen gegründeten Facharbeitsgemeinschaft Partizipation in der BAG W statt. Rolf Jordan berichtet über die die Ergebnisse dieses Arbeitstreffens und die damit verbundenen aktuellen Entwicklungen in Fragen der Beteiligung aktuell und ehemals wohnungsloser Menschen und stellt die weiteren Arbeitsschritte vor.

Unter der Rubrik „Theorie & Forschung“ richten zwei Beiträge ihren Blick auf aktuelle Entwicklungen im Bereich „Housing First“. Nikolaus Meyer präsentiert in seinem Beitrag Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aktuell bestehender „Housing First“-Projekte in der Bundesrepublik Deutschland. Die AutorInnen Kilian Parker, Martin Parlow und Theresia Schmidt fragen in ihrer Studie nach den Erfolgsaussichten entsprechender Projektansätze für das Bundesland Berlin.

Isabell Klingert stellt in ihrem Beitrag Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie zur aufsuchenden Sozialarbeit schwer zu erreichender junger Menschen im Hinblick die lokale Handhabung und Umsetzung des § 16h SGB II als neu geschaffenem Instrument dar.

Unter der Rubrik Rechtsprechung greift Manfred Hammel zwei Entscheidungen zum Obdachlosenrecht – spezielle zu den Anforderungen an eine obdachlosenrechtliche Unterbringung in Berücksichtigung der pandemiebedingten, besonderen Herausforderungen – auf und kommentiert diese im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Wohnungslosenhilfe.

Rolf Jordan
(Schriftleitung Zeitschrift wohnungslos)