Entstehung des Forschungsverbundes
Anlass für die Initiierung des Forschungsverbundes durch die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. waren mehrere Gründe:
- Praxis und Forschung zu Wohnungslosigkeit und Wohnungslosenhilfe stehen vor neuen Anforderungen, die durch wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politisch-administrativen Wandel hervorgerufen werden. Die sich in diesem Kontext abzeichnenden Veränderungen auch in der Zusammensetzung der Zielgruppen sozialer Wohnungspolitik und des Hilfesystems bedürfen genauer Aufklärung, um bedarfs- und lebenslagengerecht intervenieren und sozialer Ausgrenzung begegnen zu können. Trotz allgemein entspannter Lage auf dem Wohnungsmarkt ist das Angebot an erschwinglichem Wohnraum nach wie vor knapp. Bei zunehmender Einkommensdifferenzierung und Verfestigung von Arbeitslosigkeit wird es daher für ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen noch schwieriger werden, angemessenen Wohnraum zu finden. Die Wohnungspolitik ist zwar dabei, sich stärker auf die Bevölkerungsgruppen einzustellen, die sich nicht aus eigener Kraft am Wohnungsmarkt versorgen können. Über die Auswirkungen des neuen Wohnraumförderungsgesetzes auf die Wohnungsversorgung unterstützungsbedürftiger Haushalte – zu denen ausdrücklich auch Wohnungslose gezählt werden – lässt sich jedoch noch nichts sagen. Auch das System sozialer Hilfen ist mit veränderten Anforderungen konfrontiert und befindet sich in einem Umstrukturierungsprozess. Dies alles bedarf einer umfassenden Untersuchung.
- Neuere Forschungsprojekte – wie etwa zur Verbreitung von Wohnungslosigkeit, zur Machbarkeit einer Wohnungsnotfallstatistik oder zu den Voraussetzungen und Wirkungen sozialer Wohnprojekte – haben zwar wichtige Erkenntnisse in Teilbereichen erbracht, konnten aber die Randstellung des Themenkomplexes in der Forschung nicht ausgleichen. Dies zeigt sich an mangelndem aktuellem Grundlagenwissen sowohl auf der Entstehungsebene der Wohnungsnotfallproblematik als auch auf der Interventionsebene. Dringend erforderlich ist deshalb eine integrative Betrachtung des Phänomens, um die Wechselwirkungen zwischen den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, der Wohnungsversorgung verschiedener Bevölkerungsgruppen, den veränderten Unterstützungsbedarfen der von Wohnungslosigkeit bedrohten oder betroffenen Bevölkerungsgruppen und der Ausgestaltung der Hilfen in Wohnungsnotfällen analysieren zu können.
- Schließlich gilt es zu verhindern, dass Wohnungslosigkeit im Zuge des Abbaus der allgemeinen Wohnungsnot und auch des Rückgangs der Zahl der Wohnungslosen wieder zu einem politischen Randthema verkommt. Die Versorgung einer nach wie vor bedeutenden Anzahl von Personen bzw. Haushalten in unterschiedlichen Wohnungsnotsituationen mit Normalwohnraum ist angesichts allgemein entspannter Wohnungsmärkte eine Aufgabe, der sich Politik und Praxis – in der Sozialarbeit wie in der Wohnungswirtschaft – gemeinsam stellen müssen.
Diese Ausgangslage nahm die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. 1999 zum Anlass, einen Forschungsprozess zu initiieren. Es beteiligten sich drei Forschungsinstitute, die mit ihren bisherigen Arbeiten einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung der Wohnungslosenproblematik geleistet und sich insgesamt seit langer Zeit mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Jedes Institut steht stellvertretend für einen wesentlichen Teilaspekt dieses Forschungsfeldes. Das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) hat in der Vergangenheit zahlreiche Untersuchungen zu den Rahmenbedingungen der Wohnungsversorgung und zur Entwicklung sowie den Konsequenzen bestimmter Angebotsformen für benachteiligte Haushalte durchgeführt. Die Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Frauenforschung (GSF e. V.) hat u. a. Unterstützungsbedarfe und Lebenslagen von (wohnungslosen) Frauen untersucht. Die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e. V. (GISS) beschäftigt sich seit Jahren mit verschiedenen Aspekten der Wohnungsnotfallproblematik, insbesondere auch mit Aufbau und Wirksamkeit der Hilfesysteme in Wohnungsnotfällen in Deutschland.
Zunächst entwickelten die drei Institute, mit finanzieller Unterstützung der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, eine Konzeption für ein gemeinsames Forschungsvorhaben, das die vorhandenen Forschungslücken schließen soll. Bereits bei der Kooperation in der Initiierungsphase zeigten sich die wissenschaftlichen und innovativen Potenziale, die mit der integrativen Behandlung des Themas verknüpft sind. Die Forschungskonzeption ist im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) deshalb auf großes Interesse gestoßen, zumal damit im Kontext des Forschungsprogrammes „Bauen und Wohnen“ ein drängendes, aber vernachlässigtes gesellschaftliches Problem aufgegriffen wurde. Anfang 2001 wurde das Vorhaben durch einen Beirat beim BMBF grundsätzlich befürwortet. Nach einem intensiven ressortübergreifenden Abstimmungsprozess konnte mit dem Forschungsvorhaben im September 2001 begonnen werden. Die Laufzeit ist auf drei Jahre angesetzt worden.